NACHGEFRAGT – Wer ist dieser Inzidenzwert?

Immer wieder erreichen mich Fragen rund um Corona, Kennzahlen, Interpretationen und Maßnahmen. Ein paar dieser Fragen möchte ich gern im folgenden beantworten.

Seit Beginn der Pandemie-Maßnahmen in diesem Jahr, werden von der Bundesregierung und der Ministerpräsidenten-Konferenz sehr unterschiedliche Kennzahlen für die Begründung ihrer Entscheidungen herangezogen. Erst waren es die absoluten Infektionszahlen, dann der sogenannte R-Wert, der angibt, wieviele Menschen von einer infizierten Person angesteckt werden können. Jetzt liegt der Fokus auf den sogenannten Neuinfektionszahlen. Die Begründung, warum die verwendeten Kennzahlen so oft geändert wurden, wurde von der Bundesregierung sicher oft nicht gut genug kommuniziert. 

Inzidenzwert Stadt vs. Land

Die Neuinfektionsgrenzen werden nicht auf der Ebene einzelner Gemeinden betrachtet, sondern vor allem auf der Ebene der Gebiete, die jeweils von einem Gesundheitsamt betreut werden – Den Landkreisen bzw. großen Städten. Tatsächlich ist es so, dass ab einer Grenze von knapp 50 Neuinfizierten pro 100 000 Einwohner die Mehrzahl der Gesundheitsämter es nicht mehr schafft, alle Kontaktpersonen aller Infizierten zu recherchieren, das ist tatsächlich ein Problem. Unter anderem deswegen wird diese Kennzahl jetzt verwendet – denn man möchte, dass alle Infektionen und alle möglichen Kontaktpersonen von den Gesundheitsämtern nachverfolgt werden können. Bei Inzidenzwerten von aktuell über 300 z.B. im Landkreis Bauzen sind ist eine Verfolgung absolut unmöglich geworden.

Es macht natürlich einen großen Unterschied, ob sich in einem Landkreis alle Infektionen bspw. auf drei Pflegeheime konzentrieren, dann ist die Nachverfolgung für das Amt deutlich einfacher, oder ob die Infektionen sehr diffus verteilt in der gesamten Bevölkerung auftreten. Genau dieser Punkt wurde aber nicht ausreichend gut von der Bundesregierung kommuniziert und wird aktuell bei der Begründung politischer Gegenmaßnahmen nur wenig berücksichtigt. 

Wir brauchen ein Landesgesundheitsamt

Wir merken aktuell auch, dass es über den Sommer nicht gelungen ist die Gesundheitsämter deutlich besser auszustatten. Mit besser ausgestatteten Gesundheitsämtern wäre die Zahl von 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner im Moment eventuell durchaus für die Gesundheitsämter zu schaffen. Ich sehe die Notwendigkeit, die für den öffentlichen Gesundheitsdienst zuständigen Kommunen in Zukunft auf Landesebene mehr zu unterstützen und spreche mich deshalb für ein Landesgesundheitsamt aus. 

Schutz des Gesundheitssystems

Über die Debatte um Kennzahlen sollte nicht die allgemeine besorgniserregende Entwicklung aus dem Blick geraten. Wir beobachten im Moment, dass eben nicht nur die Zahl der Neuinfektionen steigt, sondern auch die Zahl der Beatmungs-Patientinnen und -Patienten auf den sächsischen Intensivstationen und leider auch die Zahl der Todesfälle. Da alle diese Zahlen in die gleiche, schlechte Richtung weisen muss man aktuell davon ausgehen, dass sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verschlechtert hat und politische Gegenmaßnahmen notwendig sind. Ich stehe zu den getroffenen Entscheidungen auf Landes- und Bundesebene und möchte allen persönlich danken, dass Sie Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie unterstützen. Die Infektionszahlen dürfen nicht weiter derart steigen, dass das Gesundheitssystem überlastet wird und eine dringend notwendige Behandlung für Corona-Erkrankte nicht mehr möglich ist.

Wir Grüne setzen uns auf Bundesebene für eine Langzeit-Strategie bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie ein, die unter anderem verschiedene Kennzahlen des Infektionsgeschehens berücksichtigt und zukünftig differenziertere politische Entscheidungen zulässt als den derzeitigen Teil-Lockdown. Denn wir gehen davon aus, dass uns diese Pandemie – auch im Falle eines wirksamen Impfstoffs – noch längere Zeit fordern wird. Eine derartige Strategie hat die Bundesregierung bislang nicht vorlegen können, obwohl wir bereits seit dem Frühjahr mit der Corona-Pandemie konfrontiert sind.