Debatte zur Corona-Pandemie – Hammecke: Jungen Menschen eine Perspektive geben, Beteiligung künftig verbessern

Redebeitrag der Abgeordneten Lucie Hammecke (BÜNDNISGRÜNE) zum Bericht der Staatsregierung zur Corona-Pandemie
29. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 18.05.2021, TOP 2

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleg*innen,

seit mittlerweile über einem Jahr hat Corona unsere Gesellschaft fest im Griff. Die nunmehr fast zwanzigste Verordnung wägt ab, zwischen dem Recht auf körperliche Unversehrtheit auf der einen und den anderen Grundrechten auf der anderen Seite.

Diese Abwägung wird nicht nur hier in Sachsen getroffen. Sondern in allen 16 Ländern, und im Bund. Nicht zu vergessen: dem Rest der Welt. Aber auch nicht nur in der Politik. Alle Menschen mit Verantwortung sind seit über einem Jahr mit notwendigen Abwägungsprozessen beschäftigt. Und werden dies auch noch eine Weile sein. Es ist die Aufgabe von Politik, in solchen Situationen genau diese Verantwortung zu übernehmen und Abwägungen zu treffen.

Corona hat uns als Gesellschaft in der ersten, zweiten und nunmehr dritten Welle einiges abverlangt. Angefangen bei ganz persönlichen notwendigen Einschränkungen, hin zu schmerzhaften, persönlichen Verlusten. Und das auch in ganz verschiedenen Bereichen.

Die Schulschließungen waren – wohl auch zurecht – das meist diskutierte Thema in den vergangenen Monaten. Aber wir mussten auch in anderen Bereichen mit enormen Einschränkungen leben. Zur Grenze nach Polen und Tschechien hin, gab es geschlossene Grenzen! Das erste Mal seit 2004. Es gibt eine nicht kleine Anzahl von jungen Menschen, die kannten diesen Zustand nie.

Der Justizvollzug, Staatsministerin Meier hat es erwähnt, wurde vor enorme Herausforderungen gestellt. Es gab Menschen im Justizvollzug, Eltern im Justizvollzug, die ihre Kinder nicht mehr sehen konnten oder nur noch durch Plastikscheiben. 

Aber – und das hat meine Fraktion auch immer wieder kritisiert – wir sehen die Einschränkungen vor allem in bestimmten, ausgewählten Bereichen. Der Einzelhandel, die Kultur- und Veranstaltungsbranche, Gastronomie und der private Bereich. Vor allem für Kinder und Jugendliche. Während wir sehr krasse und notwendige Einschränkungen in diesen Bereichen erleben, gibt es jede Woche neue Geschichten von viel zu vollen Großraumbüros, in denen sich seit Beginn der Pandemie nichts geändert hat.

Wir befinden uns also weiterhin in einer Abwägung und müssen möglichst genau analysieren, welche Maßnahmen wirken. Und alle Teile unserer Gesellschaft müssen dazu beitragen. Und brauchen Perspektiven. Und für Perspektiven brauchen wir niedrige Inzidenzen. Nur dann ist es uns möglich, realistische und langfristige Öffnungsszenarien für zum Beispiel die Kultur und Veranstaltungsbrance zu denken. Dafür ist es wichtig, dass wir TTI-Strategien weiter ausbauen: also Testen, Trace (Nachverfolgen), Isolieren. Und auch hier sollten wir die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen.

Doch eins möchte ich hier nochmal betonen. Der einzige Grund, warum wir jetzt über Perspektiven sprechen können, ist der, dass sich große Teile der Gesellschaft solidarisch verhalten haben. Dabei haben wir in den vergangenen Monaten eine meiner Meinung nach asymmetrische Solidarität erlebt. Denn während sich große Teile der Gesellschaft solidarisch beteiligt haben und der Grund dafür sind, dass es langsam wieder bergauf – oder mit Blick auf die Kurven bergab – geht, sehen wir auch das absolute Gegenteil.

Denn eines muss uns klar sein: Keine Verordnung allein besiegt das Virus. Keine Rechtsvorschrift verhindert die Ausbreitung einer ansteckenden Krankheit. Es sind Menschen. Menschen, die sich an Regeln halten, die Verantwortung übernehmen und sich eingeschränkt haben. Es ist die Akzeptanz von Maßnahmen, die essentiell ist.

Während sich also der Großteil unserer Gesellschaft solidarisch verhält und der Erfolgsfaktor in der Geschichte ist, gibt es auch die anderen. Diejenigen, die sich rücksichtlos verhalten. Denen selbst das Tragen eines Stück Stoffs vor Mund und Nase zu viel ist. Diejenigen, die Journalist*innen angreifen und Polizist*innen beißen.

Und dann gibt es noch diejenigen, die politisches Kapital daraus schlagen und denen das Wort Rücksicht ein Fremdwort zu sein scheint. Diejenigen, die erst den Notstand ausrufen wollten und jetzt für eine sofortige Beendigung aller Maßnahmen plädieren.

Deshalb finde ich, muss man auch sagen, dass wir trotz jenen Menschen auf einem anscheinend guten Weg sind.

Und auch wenn noch nicht der Zeitpunkt für Entwarnung ist, so freuen mich die Bilder aus den Vereinigten Staaten, in denen erste Lockerungen aufgrund der hohen Impfrate zu sehen sind. So freuen mich – und ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde – die Tweets vom Bundesgesundheitsminister zum Impfrekord. Dass an einzelnen Tagen über 1,3 Mio Menschen in Deutschland geimpft werden konnten, sind gute und wichtige Nachrichten.

Es freut mich, weil wir uns damit einem Zustand nähern, den wir einst als Normalität kannten. In eine Zeit, in der wir uns liebe Menschen ganz ohne Sorge in den Arm nehmen können, in der man wieder in die Lieblingskneipe gehen kann, in der wir nicht als Erstes am Morgen die Inzidenzzahlen checken müssen, um die Frage zu beantworten, ob ich heute mein Geschäft öffnen darf.

Und das, meine sehr geehrten Damen und Herren, haben wir einer koordinierten Kraftanstrengung zu verdanken. Und ich möchte mich auch an dieser Stelle noch einmal bei allen Menschen bedanken, die sich an Regeln halten, und die für unseren Impferfolg verantwortlich sind. Alle Ärzt*innen, alle Pfleger*innen und alle Menschen, die die Impfzentren am Laufen halten, leisten enorm wichtige Beiträge zur Bewältigung dieser Pandemie.

Aber, und ich finde, dies müssen wir beachten, wir kehren nicht in die gleiche Normalität zurück, die wir im Februar 2020 zurückgelassen haben. Denn wir nähern uns hoffentlich bald einem Ende der Corona-Pandemie. Aber noch lange nicht dem Ende der Corona-Krise. Die Corona-Pandemie hat langfristige Folgen. Sie hat merkliche Spuren in unserer Gesellschaft hinterlassen..

Diese Folgen müssen wir uns bewusst machen. Und der Moment, diese Folgen der Corona-Krise anzugehen, ist jetzt.

Mir persönlich liegt dabei natürlich besonders das Wohl von jungen Menschen am Herzen. Sie hatten einerseits das große Glück, von der tatsächlichen Erkrankung weniger hart betroffen zu sein als Ältere es waren. Sie mussten jedoch auch anders zurückstecken. Diese Gruppe hat sich im letzten Jahr lange solidarisiert, hat auf vieles verzichtet, was ganz praktisch zum Jungsein dazu gehört. Zum Erwachsenwerden, zum Unabhängigwerden. Und die ganz jungen Menschen waren dem Ganzen auch manchmal einfach ausgeliefert. Wochen- bis monatelange Schulschließungen, manch Erstklässler*in hat nach fast einem ganzen Schuljahr ihre Schule nur wenige Wochen gesehen. Student*innen haben ihre Universität teilweise drei Semester nicht betreten, währendessen gleichzeitig Nebenjob-Möglichkeiten und damit die Möglichkeiten das Studium zu finanzieren weggefallen sind.

Deshalb bin ich froh darüber, dass wir in der von meiner Fraktion beantragten Aktuellen Debatte noch einmal das Thema Jugend gesetzt haben und uns darüber unterhalten können. Ich denke, das schulden wir der jungen Generation.

Es ist aber auch Zeit dafür, das in der Corona-Krise Gelernte anzuwenden. Dass wir bereits jetzt erkennen können, was wir in Vorbereitung auf zukünftigen oder bestehenden Krisen anders machen können und langfristig verbessern müssen.

Mir fällt da zum Beispiel die ganz konkrete Frage des Gewaltschutzes ein. Wir wussten ziemlich früh aus anderen Ländern und Regionen der Welt, dass wir auch hier in Sachsen mit einem Anstieg der Zahlen von häuslicher Gewalt zu rechnen hatten. Die Polizeiliche Kriminalstatistik hat diese Vermutung dann bestätigt. Jüngst kam noch der Jahresbericht des Hilfetelefons Gewalt gegen Frauen hinzu, der einen starken Anstieg, den stärksten, den wir seit 2016 gesehen haben, um 15 Prozent zu verzeichnen hatte.

Deshalb war es folgerichtig, hier in Sachsen auf die Situation zu reagieren, Plakatkampagnen zu machen und vor allem auch extra Interimsunterkünfte einzurichten. Es ist jetzt aber auch folgerichtig, dass Gewaltschutzsystem systematisch und langfristig zu stärken, um die Erreichbarkeit des Hilfesystems aufrecht zu erhalten und möglichst bald einer jeden von Gewalt betroffenen Person überall in Sachsen immer ein Angebot machen zu können. Und den nächsten Schritt tun wir jetzt mit dem nächsten Doppelhaushalt. Wir wollen den Gewaltschutz strukturell und qualitativ stärken.

Wir müssen auch darüber sprechen, wie wir zukünftig die Rolle von Wissenschaft sehen. Die jetzt gerade zu Pandemiezeiten essentielle Kommunikation betreibt. Wir BÜNDNISGRÜNE sprechen uns weiterhin für einen Pandemierat aus, mit Expert*innen verschiedener Fachbereiche, die der Staatsregierung beratend zur Seite stehen kann. Mir als BÜNDNISGRÜNER-Abgeordneten fällt da mindestens noch ein weiterer Bereich ein, in dem wir als Gesellschaft stärker auf die Wissenschaft hören sollten – und das ist der Bereich Klimaschutz, wenn wir den Generationen nach uns noch einen lebenswerten Planet hinterlassen möchten.

Und wir müssen lernen, wie man gesellschaftliche Akzeptanz herstellen und verstärken kann. Durch klare und transparente Kommunikation – das haben wir, auch durch Fehltritte im letzten Jahr, immer wieder gelernt. Fragen beantworten und Menschen einbeziehen. Ich bin sehr gespannt auf das Forum Corona, das jetzt vom Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung gestartet wurde und das eine für Sachsen ganz neue Form der Bürger*innen-Beteiligung ausprobieren möchte: Die ganz direkte Einbeziehung und Befragung von zufällig ausgewählten Sächsinnen und Sachsen. Aus ihren unterschiedlichen (Alltags-)Erfahrungen heraus können sie ihre Ideen an Politikerinnen und Politiker weitergeben und untereinander diskutieren. Auch können sich Bürgerinnen und Bürger über das Bürgerbeteiligungsportal mit Fragen einbringen und den Diskurs von außen mitbestimmen. Mir fallen da viele Themen rund um Corona ein: Bildung nach dem Lockdown, Hochschulpolitik, aber auch Angebote für junge Menschen im Sommer. Einander zuhören und gemeinsam Lösungen finden – das kann Verständnis erwecken, auf beiden Seiten.